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BORNE to kill - Bootcamp Borne Sulinowo 2013 in Polen04.08.201329.07.13 - 04.08.13
Piwo, szarlotka i vodka gazowana. SZYBKO, SZYBKO!
Aiki-Leaks: Von Siegburg nach Borne Sulinowo. Ein Insider packt aus.
Die Frage Pierres wirkte nahezu rhetorisch, als er nach einem Lehrgang zu mir äußerte: „Ich bin dieses Jahr in Polen, hast du Lust?“ Doch warum eigentlich nicht? Der Alltag und Stress wird wohl durch körperliche und geistige Harmonie (Ai) eher weggewaschen als durch rumliegen in der Sonne, schlimmstenfalls am Ballermann. Also Aktivurlaub mit unserer Lieblingsbeschäftigung: Aikido!*
Und da bekanntlich auch der längste Marsch mit dem ersten Schritt beginnt (soll zumindest Laotse gesagt haben), galt es nun alle Anzüge einzupacken, Handtücher, Waffen, Zahnbürste, pack-und-pack-und-pack. Dann ausschlafen und schön früh ins Auto: Von Siegburg nach Borne Sulinowo sind es über neunhundert Kilometer und am nächsten Tag schon Training. Fragen über Fragen quälen mich: Lohnt sich der Aufwand? Pack ich, eher von einem ruhigeren Aikido-Stil kommend, das Training überhaupt? Wie ist Polen?
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Ruckartig reißt mich mein Navi aus diesen Gedanken mit dem laxen Kommentar: „Willkommen in Polen!“ Wo ist der Stacheldraht, die sowjetischen Truppen, die Grenzkontrolle? Achja, stimmt, ich bin Europa – Genial! Auch wenn dies noch nicht alle Straßen mitbekommen haben, die polnischen Menschen schon. Kommunikation, Gastfreundschaft und Offenheit uns gegenüber ist die vorherrschende Stimmung - nicht nur in Groß Born. Das ist fast schon ärgerlich: Ob wir Deutsche auch so gute Gastgeber sein können? Eins ist klar: dieses Woche wird international: Ein in Deutschland lebender Franzose unterrichtet in Polen eine japanische Kampfkunst für ein buntes Grüppchen, welches mir sofort nach meiner Ankunft vorgestellt wird. Nett aber etwas zurückhaltend wirken alle mir Neuling gegenüber und mir wird klar, dass nach der Fahrt meine Reise erst anfängt. Aber hat nichtmal Konfuzius gesagt: Der Weg ist das Ziel? Irgendjemand hat's auf jeden Fall mal irgendwann gesagt.
Montag rückt dann alles mit dem ersten Training sofort in geordnete Schranken. Aikido par excellence in einem intensiven Miteinander. Alle Partner sind engagiert, achten aufeinander, versuchen unaufdringlich mich weiterzubringen. Besonders ein ehemaliger Karateka beeindruckt mich, ebenso wie seine herzliche Frau, ein ruhiger aber ebenso freundlicher Ingenieur und eine sechzehn Jahre junge Dan-Trägerin. Sensei Pierre selbst nimmt sich meiner unheimlich mühevoll an. Sosehr, dass er, nach eigener Aussage sogar schwitzt, wenn er mich immer wieder korrigiert. Herrlich: Sobald ich die ersten Zehn Minuten überstehe, geht es immer besser: Mit jeder Rolle geht ein Stück Stress verloren, mit Korrektur und Bewegung vergeht meine Anspannung. Nach jeder morgigen Einheit steht gemeinsames Essen an: Nicht weil wir müssen, es machte einfach nur Spaß mit so begeisterten Aikidoka und derart lockeren Menschen beisammenzusitzen. Und das eine Woche!!! – An dieser Stelle nochmal 'Hut ab' für ausnahmslos alle Teilnehmer. Während des Essens schön witzeln, jeder redet mit jedem, sogar die schüchternsten und zurückhaltendsten jungen Dan-Trägerinnen kommen am Ende der Woche aus sich heraus und die aufgedrehtesten Neulinge werden ein Stück ruhiger. Abends nach dem Training schwimmen im See; ansonsten einmal sogar in Bötchen paddeln, Szczecinek besuchen, einkaufen, grillen, mit einem Wort: Urlaub machen! Polen als entspanntes und gemütliches Land, in dem man sich günstig erholen und essen kann. Das Aikido steht zwar im Vordergrund, aber das stört niemanden, auch wenn das Training an die Kondition geht: Von wegen Fitnessstudio, hier hat man sowohl Budo als auch Fitness in Einem. Und gerade wegen seines lockeren und sehr humorvollen Umganges ist Pierre der geborene Aikido-Trainer. Er spürt genau die Grenzen eines jeden einzelne und weiß perfekt mit seinen Schülern umzugehen. In kürzester Zeit habe ich das Gefühl extrem viel durch ihn mitgenommen zu haben. Mir wird klar: Um schönes und effektives Aikido derart zu üben, dass man am Ende wirklich stolz auf sich sein kann, muss man nicht unbedingt nach Japan. So fällt es auch immer wieder leicht sich zu motivieren: Siebenmal hinfallen, achtmal wieder aufstehen. Oder auf Polnisch: Tropfen für Tropfen formt das Meer. Bald ist es fast so, als hätte ich ewig hier trainiert und fast, aber nur fast, vergesse ich mein wunderschönes Siegburg und mein heimisches Dojo. Mein Sensei wird zufrieden mit mir sein!
Das Aikido-Training selbst ist stets sehr abwechslungsreich: Bokken, Jo, Tanto kommen zum Einsatz, diverse Aikido Techniken werden vorgeführt, erklärt und von uns tröpfchenweise verinnerlicht – sogar eine Iaito-Einheit gibt es. Neben fließenden und traditionsbewussten Aikido-Bewegungen ist Pierres Stil bodenständig und direkt. Es geht darum eine Aggression zu beenden (Bu-do) und weniger darum, tänzerisch den Ki zu erfahren (Tan-go?). Doch ohne Ki und Waffenverständnis, was Pierre uns vorlebt, ist kein Aikido möglich. Pädagogisch geschickt verpackt vergeht die Zeit des Trainings wie im Flug, was verwundert, wenn man die Lerninhalte und das breite Spektrum des Aikido beachtet. Alle Übungen unterliegen einer Dynamik und fließender Bewegung und sind auch für andere Stile leicht nachvollziehbar. Dabei lässt Pierre nie die Geschwindigkeit und den Aspekt der Selbstverteidigung außer Acht.
Am Ende blicke ich sehr wohlgesonnen zurück: Als Fremder, durch meinen Alltag gestresster Siegburger kam ich und reise als relaxter Urlauber ab, ein Stück Borne im Herzen und mehr Aikido in der Bewegung. Über die Schattenseite, dass die Abenden immer so schnell rumgingen und wir gerne noch mehr in Borne unternommen hätten, kann man hinwegsehen: Schließlich freue ich mich schon auf nächstes Jahr! Auf einen Japan-Aufenthalt werde ich getrost verzichten, nur meine Waffen und meine Kampfkunst bleiben japanisch.
(Dmitri Pavlov, Siegburg, der 21.09.2013)
* Der 2. Internationaler Aikido-Lehrgang in Groß Born (Polen) fand, unter Leitung von Pierre Congard, 6. Dan, Technischer Leiter der FDAV, Schüler von Tamura Shihan und Suga Shihan, vom 29.07 bis 04.08.2013 statt. Organisation erfolgte durch SV Gold Blau Stuttgart e.V., Jan Schlegel. Der Verfasser beschäftigt sich seit 2004 mit Aikido im Aikido Club Siegburg e.V., der für alle Aikido-Stilrichtungen offen ist, insbesondere jedoch das Takemusu-Aikido trainiert.
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